Der erzwungene Rücktritt des Granseer Bürgermeisters Kuckert

Querelen in Folge der „Maifeier“ 1905 führten zur Frühpensionierung ab 11. Oktober 1906

Die erste offizielle Granseer „Maifeier“, die am 30. April 1905 auf Initiative der Sozialdemokraten im „Schützenhaus“ stattfand und vom konservativen Bürgermeister Kuckert nicht verhindert werden konnte, sollte auf Grund der Geschehnisse, von denen der entsandte Stadtpolizist Fahl nichts mitbekommen hatte, weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Fahl, der nichts Böses vermutete, als die versammelten Teilnehmer, vermeintlich seiner Aufforderung zur Auflösung folgend, das „Schützenhaus verließen, hatte sich nämlich gewaltig ins Bockshorn jagen lassen. Guten Glaubens, dass nun alles seine Ordnung hätte, begegnete er im Lokal seinem Nachbarn, der sich zu ihm an den Tisch setzte, ihn in ein Gespräch verwickelte und mit ihm genüsslich das eine oder andere kühle Bier genoss. Fahl kam nicht auf die Idee, dass dies ein Ablenkungsmanöver war. Beruhigt über seinen scheinbaren Erfolg und in freudiger Erwartung auf das gewiss zu erwartende Lob des Bürgermeisters und örtlichen Polizeichefs Kuckert, lehnte sich der Ordnungshüter zufrieden zurück. Der Polizist Fahl war der Buhmann, an dem Kuckert seine Wut ausließ. Doch auch er selbst sollte nicht ungeschoren davon kommen. Die Sache hatte ein Nachspiel, denn er bekam den Zorn des Neuruppiner Landrates zu spüren, der sich seinerseits wegen der Vorfälle anlässlich der Maifeier in Gransee gegenüber der Potsdamer Regierung rechtfertigen musste. Die Sozialdemokraten hatten nämlich wegen des ursprünglichen Verbots ihrer Veranstaltung durch Kuckert eine Beschwerde an die Regierungsbehörde in Potsdam gerichtet. Und die Entscheidung, die dem Neuruppiner Landrat und dem Granseer Bürgermeister im Antwort-schreiben mitgeteilt wurde, fiel sehr überraschend und unerwartet aus. Den beiden Amtspersonen wurde nämlich mitgeteilt, dass ihre Maßnahmen gegen die „Maifeier“ der Sozialdemokraten ungesetzlich gewesen seien! Damit hatten sie selbstverständlich nicht gerechnet. Der Landrat ärgerte sich über die Potsdamer Entscheidung, aber noch mehr erbost war er über Kuckert, dem er seiner Ansicht nach diese Blamage zu verdanken hatte. Mit Harmonie und Eintracht, die bislang das Arbeitsverhältnis beider Amtspersonen bestimmten, war es nun ein für alle Mal vorbei! Reserviertheit und Distanz bestimmten fortan den Umgang miteinander. Der Landrat zeigte Kuckert sozusagen die kalte Schulter und ließ ihn ein ums andere Mal abblitzen. Als Kuckert nun in seinem nächsten „Zeitungsbericht“ (Verwaltungsbericht) vom 15.09.1905 auch noch behauptete, er habe zur politischen Lage in Gransee nichts Bemerkenswertes zu berichten, sandte ihm der Landrat persönlich ein wenig höfliches Schreiben zurück, in dem es unter anderem hieß: „... Ich kann nicht annehmen, daß es in dieser Beziehung an jedem Material zur Berichterstattung fehlen sollte. Ich ersuche daher eingehend zu berichten und dabei auch anzugeben, wie viel socialdemokratische Versammlungen abgehalten sind, was darin verhandelt wurde, ob die Socialdemokratie dort mehr Boden gewonnen hat und wie die politische Stimmung ist.“ (Quelle: Schreiben des Landrates aus Neuruppin vom 21.09.1905, Ratsarchiv Akte Nr. 76) Doch auch des Bürgermeisters sofortige Antwort enthielt nur mehr Worte, jedoch keine Fakten. Die Berichterstattung über die Sozialdemokraten in Gransee wurde Kuckert allerdings dadurch erschwert, dass die Genossen, sich der Bespitzelung bewusst, zwar offizielle Zusammenkünfte anmeldeten, diese dann aber absichtlich nur schwach besuchten oder wegen angeblich mangelnder Beteiligung ausfallen ließen, während sie sich daheim in privaten Runden trafen. Wichtige Fragen ließen sich auch nach Feierabend im Garten, bei gegenseitigen Besuchen, im Gasthaus während des Skatspielens oder in den Pausen am Arbeitsplatz besprechen. So vermittelten sie den Eindruck, dass die Sozialdemokratie keine ernsthafte politische Größe in der Stadt sei. Und prompt schrieb Kuckert in seinem „Zeitungsbericht“ (Verwaltungsbericht) IV/1905: „... Die fällig gewesenen drei regelmäßigen Monatsversammlungen des socialdemokratischen Wahlvereins mußten ausfallen, da sich nur 3 bis 5 Genossen eingefunden hatten."
Doch die Realität sah etwas anders aus. Laut des vom Neuruppiner Genossen Ludwig Krasemann anlässlich der am 13. August 1905 durchgeführten „Generalversammlung der SPD-Wählervereine für die Kreise Ruppin und Templin“ gehaltenen Referats waren zu diesem Zeitpunkt in beiden Kreisen insgesamt über 2300 Mitglieder gewerkschaftlich und 536 Mitglieder in SPD-Wählervereinen organisiert. In der Kleinstadt Gransee, deren Einwohnerschaft größtenteils konservativ, nationalliberal oder freisinnig positioniert war, gab es demnach 1905 immerhin 80 offizielle Gewerkschaftsmitglieder sowie 50 Mitglieder des „SPD-Wählervereins“. Schließlich wusste Kuckert in seinem Bericht von 1905 doch noch etwas Konkretes zu berichten. Durch Bestechung war er in den Besitz eines Kassenberichtes der hier ansässigen Zahlstelle des „Zentralverbandes der Maurer Deutschlands“, in welchem die Granseer Maurer organisiert waren, gelangt. Darauf Bezug nehmend schreibt Kuckert in seinem Bericht von 1905: „... Bezeichnend für die Opferfreudigkeit der organisierten Maurer ist der Kassenbericht der hiesigen Zahlstelle des Zentralverbandes der Maurer Deutschlands des Rechnungsjahres 1905. Hiernach haben etwa 60 Maurer aus Gransee und Umgegend in einem Vierteljahr 682,60 Mark Beiträge gezahlt, wovon 629.75 Mark an den Zentralvorstand abgeführt worden sind.“
Für den Landrat dürfte diese Mitteilung jedoch nicht von ernsthaftem Interesse gewesen sein. Und noch dazu bereiteten Kuckert die „Sozis“ weiterhin Schwierigkeiten! Am 17. September 1905 musste das Stadtoberhaupt erneut ohnmächtig zuschauen, wie der Granseer „SPD-Wählerverein“ eine öffentliche Volksversammlung anlässlich der Eröffnung des „Jenaer Parteitages“ durchführte. Antragsteller, Organisator und Leiter der Veranstaltung war wieder der Maurer Karl Voß, als Hauptredner sprach der Genosse Hermann Schulz aus Berlin. Eingedenk des mangelhaften Verhaltens des Granseer Stadtpolizisten Fahl bei der „Maifeier“ vor 5 Monaten nahm der Landrat dieses Mal selbst die Zügel in die Hand. Er beorderte einen ihm unterstehenden Polizisten, den „Fußgendarm“ Schaffrate, zur Aufsicht nach Gransee. Bürgermeister Kuckert war brüskiert und fühlte sich übergangen, konnte jedoch nichts dagegen ausrichten. Der „Fußgendarm“ erfüllte den Auftrag zur vollsten Zufriedenheit und verfasste für den Landrat einen ausführlichen, sechsseitigen Bericht. Richtig ernst wurde es für Kuckert 1906, denn in diesem Jahr endete die Wahlperiode des Bürgermeisters und seines Magistrats. Sein Image hatte inzwischen sehr gelitten und die Wiederwahl stand auf wackligen Füßen. Auf die sonst übliche Unterstützung des Landrates wagte Kuckert nicht zu hoffen, denn das frühere Einvernehmen war ja seit der „Maifeier“ 1905 gründlich verdorben. Hinzu kam, dass sich in Gransee eine beachtliche Opposition der Einwohner gegen ihn entwickelt hatte. Den Anlass dazu hatte der Ausgang eines Prozesses gegeben, den der Bürgermeister gegen Dr. med. Dancker, einen sehr angesehenen Mediziner der Stadt, Ende des Jahres 1904 wegen persönlicher Beleidigung angestrebt und schließlich gewonnen hatte. Dieser ausgezeichnete Arzt, hervorragend in Diagnostik und Therapie, war ein Choleriker, der allen Patienten ohne Umschweife und nicht selten grob seinen Befund und seine Meinung sagte, ohne Rücksicht auf den eventuellen Rang oder die berufliche Stellung des Betreffenden. Der Arzt beteiligte sich sehr aktiv am öffentlichen Leben der Stadt. Er war stellvertretender Vorsitzender des Verschönerungs-vereins“, hielt im hiesigen „Bürgerverein“ aufklärende Vorträge und gehörte der Freiwilligen Feuerwehr an, in der er die Sanitätsausbildung des „Rettungszuges“ leitete. Gemeinsam mit seinem besten Freund, dem aus Berlin zugezogenen Rechtsanwalt und Notar Wernicke, der sich um den Granseer Obstbau große Verdienste erwarb und als Vorsitzender des „Verschönerungsvereins“ fungierte, führte er so manche Auseinander-setzung mit Kuckert. Da die Beiden einige Male die Oberhand behielten und ihre Vorhaben durchzusetzen vermochten, sann der Bürgermeister auf Rache. So befriedigte ihn die jetzige Verurteilung Dr. Danckerts zu vier Monaten Gefängnis zutiefst. Die Revision, die Rechtsanwalt Wernicke einlegte, blieb erfolglos. Der Arzt saß seine Strafe ab. Als er aus der Haft entlassen wurde und nach Gransee zurückkehrte, bereiteten ihm die Granseer einen großen Empfang und hießen ihn mit Blumen und Musik willkommen. Einem Triumphzug gleich geleitete ihn die Stadtkapelle bis zu seiner Wohnung. (Quelle: Mitteilungen des Stadtangestellten Erich Rohde) Die Opposition konnte zwar nicht verhindern, dass auf Beschluss der Stadtverordneten vom 19. Februar 1906 von einer Ausschreibung der Bürgermeisterstelle Abstand genommen und die Wiederwahl Kuckerts vorgeschlagen wurde. Doch die Sozialdemokraten machten ihm weiterhin zu schaffen. Sie führten 1906 erneut im „Schützenhaus“ ihre „Maifeier“ durch.
Die Wiederwahl zum Bürgermeister, die am 7. Mai 1906 erfolgte, ließ Kuckert für den Moment alle Sorgen vergessen. Er fühlte sich durch den Vertrauensbeweis der Stadtverordneten in seiner Art der Amtsführung bestätigt. Doch des Erfolges sollte sich Kuckert nicht sehr lange erfreuen.
Das Wahlergebnis war seitens seiner Gegner zwar nicht anfechtbar, aber man bediente sich eines anderen Tricks. Hinter den Kulissen zogen sie den Landrat auf ihre Seite, der wiederum seinen Einfluss beim Potsdamer Regierungspräsidenten geltend machte. Und plötzlich hieß es einige Monate später im Verwaltungsbericht II/1906: „Der Bürgermeister Kuckert hat aus Gesundheitsrücksichten seine Pensionierung vom 11.10. dieses Jahres ab beantragt. Infolgedessen hat am 6. des Monats September eine Neuwahl stattgefunden, aus der der Stadtsekretär Leue aus Dahme als Bürgermeister unserer Stadt hervorgegangen ist. Dieser hatte alle 24 Stadtverordneten-Stimmen auf sich vereinigt...“
Die Opposition hatte letztlich doch gesiegt. Kuckert gab sein Amt auf. Der angeblich gesundheitlich so sehr geschwächte „Pensionär“ verstarb übrigens erst 27 Jahre später. Im gesegneten Alter von fast 92 Jahren schloss er am 29. Juli 1934 die Augen.

Diplom-Historiker
Carsten Dräger
SPD-OV Gransee-Fürstenberg

GraFü-Kurier

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