Beschwerde gegen Veranstaltungsverbot/Juristischer Sieg über Amtsvorsteher und Landrat
Im Landratsamt des Landkreises Ruppin bestand einst eigens angelegte, prall gefüllte Akte mit näheren Angaben über sämtliche Vereinsgründungen in den hiesigen Städten und Dörfern und genauen Informationen über deren amtlich genehmigte Vereinsstatuten. Trotz vorliegender Genehmigungen sahen sich etliche Vereine, vor allem politisch verdächtige, der permanenten Bespitzelung und allen möglichen Schikanen seitens der Amtsbehörden ausgesetzt. Doch die Neulögower trotzten diesen Machenschaften mit Erfolg, wie das folgende Beispiel beweist. Die Landwirtschaft hatte sich in diesem Dorf ähnlich entwickelt, wie in fast allen Dörfern in Preußen. Es gab mehrere „Bauerngutsbesitzer“, die über beachtliche Landflächen verfügten, aber auch viele ehemalige „Kolonisten“, die nur wenig oder gar kein Land mehr besaßen und zu Knechten oder Landarbeitern geworden waren. Die Schere zwischen arm und reich klaffte immer weiter auseinander. Um sich zum eher kargen Lohn zusätzlich etwas verdienen zu können, betrieben diese sozial benachteiligten Dorfbewohner im Nebenerwerb eine handwerkliche oder gewerbliche Tätigkeit. Sie hatten sich in einem der SPD nahestehenden „Handwerkerverein“ zusammengeschlossen. Den Abschluss der Erntesaison 1898 wollten sie mit einem fröhlichen Zusammensein feiern. Dem zuständigen konservativen Amtsvorsteher in Großwoltersdorf gefiel das aber ganz und gar nicht. Da selbst jede gemütliche Vereinsrunde bei ihm angemeldet werden musste, hatte er die Möglichkeit, selbst solche unpolitischen Feiern zu untersagen. Er versagte dem Neulögower „Handwerkerverein“ auch prompt die Genehmigung. Doch das wollten sich die Vereinsmitglieder nicht so einfach gefallen lassen. Der Vorstand des Neulögower „Handwerkervereins“ erhob am 16. September 1898 beim Landrat in Neuruppin offizielle Beschwerde gegen das Veranstaltungsverbot. Der Landrat ließ sich daraufhin vom Großwoltersdorfer Amtsvorsteher unverzüglich auf dem Schriftweg ausführlich Bericht erstatten. Als Begründung für das Verbot gab dieser fadenscheinig an, der Verein sei nur zu dem bisher verheimlichten Zweck, „Tanzlustigkeiten“ zu veranstalten, um die ansonsten fällige Steuerzahlung zu hintertreiben, gegründet worden. Nachdem der Landrat davon Kenntnis genommen hatte, meinte er, der Amtmann wäre im Recht gewesen und begrüßte dessen Entscheidung. Die Beschwerde des „SPD-Handwerkervereins“ wurde offiziell abgelehnt. Wider erwarten gaben die Neulögower aber nicht klein bei. Anhand ihrer Versammlungsprotokolle wiesen sie die Angaben des Großwoltersdorfer Amtsvorstehers als üble Verleumdung nach und erhoben beim Verwaltungsbericht in Berlin Klage gegen ihn und den Landrat. Das Gericht wies die Klage - wie konnte man es auch anders erwarten- zurück. Die Kläger nahmen sich nun den Berliner Rechtsanwalt Herzberg zu Hilfe. Dieser mit allen Wassern gewaschene Jurist durchsah die Akten und fand den von ihm erhofften Formfehler, der ihm dann die Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Berlin ermöglichte. Am 3. März 1899 fand in der Hauptstadt die Berufungsverhandlung statt und brachte den Neulögowern einen vollen Erfolg. Ihre Beschwerde vom September 1898 sei berechtigt, das erlassene Verbot der Veranstaltung durch den Amtsvorsteher sowie die Ablehnung der Beschwerde durch den Landrat wären ungesetzmäßig gewesen, so lautete das Urteil der Instanz. Den Großwoltersdorfer Amtsvorsteher vergrämte dieses unerwartete Urteil so sehr, dass er sofort von seinem Amt zurück trat.
1903: Erste regionale Wählerversammlung der SPD fand in Neulögow statt Gendarm erstattete Bericht/Etwa 150 Personen nahmen teil Vor nunmehr fast 110 Jahren, im Zusammenhang mit den Reichstags-wahlen des Jahres 1903, traten die Mitglieder des Neulögower „Handwerkervereins“, der inzwischen offen mit der Sozialdemokratie sowie deren Ideen und Zielsetzungen sympathisierte und unter anderem enge Kontakte zum „SPD-Wählerverein“ Gransee pflegte, wieder ins Blickfeld und sorgte für Furore. Alle Wahlveranstaltungen waren meldepflichtig und schon zu jener Zeit von der zuständigen Polizeibehörde überwacht. Einer der Stadtpolizisten oder der Landgendarm erhielten den Befehl zur Teilnahme an der jeweiligen Veranstaltung und waren verpflichtet, anschließend einen ausführlichen Bericht über die Zahl, das Geschlecht, die Namen der Teilnehmer und Redner sowie über den Inhalt der gehaltenen Referate und stattgefundenen Diskussionen zu verfassen und vorzulegen. Der Polizist war berechtigt, bei „besonderen Vorkommnissen“ wie „Majestätsbeleidigung“ oder gar Verletzung gesetzlicher Bestimmungen sofort zur Auflösung der Versammlung zu schreiten. Die abzuliefernden Berichte verstärkten mitunter aber auch die Abneigung der berufenen Polizisten an solchen Veranstaltungen teilnehmen zu müssen. Außerdem ließ bei dem Einen oder Anderen auch die Schreibgewandtheit zu wünschen übrig, so dass er darin eine lästige, unliebsame Pflicht sah. Die erste Wählerversammlung der SPD in unserer Heimatregion fand am 24. Mai 1903 auf dem Hofe des Maurers Pieper in Neulögow statt, also ausgerechnet in jenem Dorf, dessen „Handwerkerverein“ fünf Jahre zuvor für die juristische Niederlage des Amtsvorstehers und des Landrates gesorgt hatte. Für den zur Aufsicht kommandierten Gendarm dürfte die Anwesenheit von nicht weniger als 150 Personen vermutlich eine große Überraschung gewesen sein, denn er versuchte in seinem Bericht, krampfhaft die unerwartet starke Beteiligung zu erklären. Nachdem von ihm festgestellt worden war, dass nicht nur Neulögower, sondern auch Großwoltersdorfer, Seilershofer, Lüdersdorfer, Königstädter (nach 1945 Wolfsruher-C.D.) und sogar Vertreter aus dem Gutsdorf Zernikow zu den Versammlungsteilnehmern gehörten, vermerkte er abschließend bezüglich der politischen Situation im Veranstaltungsort: „...Neulögow selbst hat 100 Wähler, davon 80 mit Stimmabgabe für die SPD, die fast alle als Maurer arbeiten…“ (Quelle: Bericht des Gendarmen an den Landrat in Neuruppin)
Diplom-Historiker
Carsten Dräger
OV Gransee-Fürstenberg