Die erste „Maifeier“ der Sozialdemokraten in Gransee

Zusammenkunft von mehr als 300 Personen im „Schützenhaus“ Stadtpolizist Fahl hereingelegt

Nachdem es schon 1904 viel Aufregung in Gransee gegeben hatte, sollte das Jahr 1905 dem „friedlichen Bürger“ weitere Überraschungen und dem Bürgermeister Kuckert sehr viel Ärger
bringen. Schuld daran waren vor allem die aufmüpfigen Sozialdemokraten.
Kuckert, ein Stadtoberhaupt mit konservativer politischer Einstellung, musste in einem seiner Verwaltungsberichte, die ehedem als „Zeitungsberichte“ bezeichnet wurden, konstatieren:
„...Die Sozialdemokraten haben leider auch in Gransee festen Fuß gefasst.
Am 8. Januar des Jahres hat sich hier ein sozialdemokratischer Wahlverein für Gransee und Umgegend gebildet. Während dem Verein bei der Gründung 32 Mitglieder beitraten, zählt er jetzt 47, die mit nur einer Ausnahme Einwohner Gransees sind. Der Verein hält seine regelmäßigen Veranstaltungen am letzten Sonntag jeden Monats in einem hiesigen Lokal ab.“
(Zitiert aus: „Zeitungsbericht des Bürgermeisters“, I/1905)
Diese Meldung ist auf den 20. März 1905 datiert. Knapp vier Wochen später erschien der Maurer Karl Voß, der dem Granseer „Sozialdemokratischen Wählerverein“ vorstand, im Polizeibüro des Rathauses, um eine „öffentliche Volksversammlung“ zur Feier des 1. Mai anzumelden.
Kuckert, als amtierender Bürgermeister zugleich örtlicher Polizeichef, war grundsätzlich dagegen, weil er die „Sozis“ als politische Gegner betrachtete, die Unruhen in der Stadt heraufbeschwören
würden, und auch Frauen an der Veranstaltung teilnehmen sollten, von denen eine sogar als Rednerin im Programm vorgesehen war. Er war geradezu empört und außer sich über diese Sozialdemokraten.
Nun wollten sie trotz seines ausdrücklichen Hinweises auf die Polizeiwidrigkeit ihre so genannte
„Maifeier“ doch am 30. April durchführen. Er hatte gedacht, der Fall wäre erledigt, nachdem dieser Maurer Voß am 22. des Monats zu ihm gekommen war und seine Anmeldung zur „öffentlichen Volksversammlung“ ziemlich kleinlaut zurückgezogen hatte.
Doch nun meldete so ein „Obersozi“ aus Neuruppin, ein Schneider Krasemann, die Versammlung
erneut an! Er selbst ersuchte gar nicht persönlich um Erlaubnis, sondern ließ nur durch den Voß ein
Anmeldeformular überreichen! Als wenn er nicht wüsste, dass seit alters her alle politischen Versammlungen sofort aufgelöst würden, an denen in aller Öffentlichkeit Frauen teilnähmen, erst
recht eine solche Veranstaltung, wo -das war die größte Frechheit- ein Weibsbild als Rednerin auftreten sollte!
Nach Kuckerts Meinung könne der andere vorgesehene Redner aus Berlin, ein Tischler Dobrolaw, sicher so ein dahergelaufener Aufrührer aus Schlesien oder Posen, so lange sprechen wie er wolle. Denn ohne Reden ging's ja bei keiner Feier, weder im „Kriegerverein“ zu Kaisers Geburtstag, noch
am „Sedanstag“, wo er selbst die vom Rektor Meinhardt verfassten, in Schönschrift geschriebenen
Ansprachen verlas. Doch die endeten ja immer mit einem dreifachen Hoch auf seine Majestät, was man von diesen „Umstürzlern“, den „Roten“, nie erwarten konnte.
Dem Bürgermeister Kuckert war die Angelegenheit überaus peinlich, weil er noch vor wenigen Tagen dem Landrat in Neuruppin fest versprochen hatte, es gäbe in Gransee keine Maifeier, weil er die „Sozis“ habe abblitzen lassen. Nun war er restlos blamiert. Er, in dessen hübscher Villa vor dem
Templiner Tor nicht nur Prinz Leopold von Bayern im Jahre 1897, sondern im Oktober 1900 kein Geringerer als der damalige Kronprinz Wilhelm persönlich geruhten zu logieren und dessen Ansehen nicht zuletzt deshalb bei den Herren des Landratsamtes merklich gestiegen war!
Und gerade jetzt diese Impertinenz, diese Unverschämtheit der Sozialdemokraten!
Kuckert ahnte schon, wie die Neuruppiner Herren sich bei nächster Gelegenheit hämisch grinsend über den Verlauf der nun doch durchgeführten Maifeier in Gransee erkundigen würden.
Aber die „Sozis“ sollten nicht denken, sie könnten tun und lassen was sie wollten!
War er nicht Kommandeur der Ortspolizeibehörde? Wenn diese „Maifeier“ schon nicht zu verhindern war, wollte er sie zumindest unter polizeiliche Überwachung stellen. Er beschloss, einen der beiden Stadtpolizisten an den Versammlungsort ins „Schützenhaus“ zu delegieren. Dieser erhielt den strikten Befehl, die Versammlung sofort aufzulösen, wenn diese Berlinerin auch nur den Mund aufmachen sollte. Und wenn sie nicht parieren würde, müsste sie eben arretiert werden!
Von weiteren Verhaftungen sollte jedoch möglichst abgesehen werden, da ja nur eine Zelle auf dem Rathaushof zur Verfügung stand. Der Stadtpolizist Fahl wurde von Bürgermeister Kuckert mit dem Sonderauftrag betraut. Das passte ihm überhaupt nicht, denn ausgerechnet an seinem freien Sonntag musste er bei den Sozialdemokraten im „Schützenhaus“ zugegen sein. Er kannte sie fast alle. Das waren doch keine Menschenfresser! Im Gegenteil, Freunde, ja sogar Verwandte von ihm waren dabei. Schade nur um die freie Zeit! Er hätte bei dem schönen Wetter seinen Garten in Ordnung bringen können, Salat und Radieschen säen und das letzte Ende noch umgraben. Aber nun?
Am frühen Nachmittag des 30. April fand die „Maifeier“ zum Verdruss des Bürgermeisters Kuckert wie geplant statt. Stadtpolizist Fahl hatte sich seinem Auftrag entsprechend rechtzeitig im Granseer „Schützenhaus“ eingefunden. Doch mit so vielen Teilnehmern hätte er nicht gerechnet. Es waren mindestens 300, wenn nicht 350! Die Versammelten kamen nicht nur aus Gransee, sondern auch aus Neulögow, Altlüdersdorf und anderen umliegenden Orten.
Sein Nachbar hatte gesagt, auch vom „Zweigverein der Maurer“ sei eingeladen worden.
Anschließend sollte Konzert und Tanz sein, für die Kinder unten auf dem Turnplatz wurden Eierlaufen und Sackhüpfen veranstaltet. So etwas lockt immer!
Der Berliner Referent Dobrolaw hatte seine Rede beendet. Fahl war daran nicht sonderlich interessiert. Doch nun klatschten plötzlich alle, der Granseer Karl Voß betrat das Podest und kündigte die Berliner Genossin Kiesel als nächste Rednerin an. Nun musste der Polizist Fahl aber handeln! Er stürmte auf die Tribüne und rief: „Halt! Sofort aufhören! Die Frau darf hier keine Rede halten! Befehl des Bürgermeisters! Die Versammlung ist geschlossen! Sofort auseinander gehen!!“
Gott sei Dank folgten die Anwesenden seiner Anweisung und zogen sich in den Wald zurück.
Fahl fühlte sich bestätigt, kannte er doch seine Mitbürger. Das waren eben keine Rebellen wie die Berliner aus den Fabriken oder die Zehdenicker von den Ziegeleien.
Es war drei Uhr am Nachmittag, die Musiker würden nicht vor fünf Uhr kommen. Stadtpolizist Fahl
traf seinen Nachbarn, der ihn auf den Schreck hin zu einem kühlen Bier einlud.
Beruhigt über seinen scheinbaren Erfolg genoss Fahl nicht nur das eine Bier. Er hatte seine Pflicht getan und der Bürgermeister würde gewiss mit ihm zufrieden sein. So nahmen die Dinge friedlich
ihren Lauf.
Der Arme ahnte jedoch nicht, was ihn am nächsten Morgen beim „Alten“ erwartete.
Statt des erhofften Lobes für sein energisches Durchgreifen erhielt er einen „Anschiss“, wie er ihn seit seiner Rekrutenzeit nicht mehr erlebt hatte. Hatte diese Berlinerin ihre Rede doch gehalten! Oben im Wald, ausgerechnet am Kriegerdenkmal, dieser “heiligen Stätte preußisch-deutschen Ruhmes“,
wie ihm Bürgermeister Kuckert entgegen donnerte. Fahl war ganz einfach ausgetrickst worden:
Während dieser Schlingel von Nachbar an der Theke beim Biertrinken von seinen Karnickeln erzählte, fand die beabsichtigte Kundgebung andernorts statt, ohne dass er etwas bemerkt hatte.
Doch auch Kuckert kam nicht ungeschoren davon, denn er bekam in der Folgezeit den Zorn des Neuruppiner Landrates zu spüren, der sich selbst wegen der Vorfälle anlässlich der Maifeier in Gransee gegenüber der Potsdamer Regierung rechtfertigen musste.

Diplom-Historiker
Carsten Dräger
OV Gransee-Fürstenberg

GraFü-Kurier

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